Jochen Ruths ist Präsident des Handelsverbands Hessen, Aufsichtsrat der Bürgschaftsbank Hessen und Unternehmer mit einem Modegeschäft in Friedberg. Wir haben ihn zur aktuellen Lage befragt:

Was sind – in aller Kürze – die wichtigsten Aufgaben des Handelsverbandes Hessen und wen vertreten Sie?

Der Handelsverband Hessen vertritt die Interessen von 7.200 Mitgliedsunternehmen mit 200.000 Beschäftigten in 17.000 Arbeitsstätten auf einer Verkaufsfläche von 22 Mio. qm und einem Jahresumsatz der Branche von 51 Mrd. Euro. Professionell, regional und breit aufgestellt, sind wir gemeinsam für die hessischen Händlerinnen und Händler da.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage im Handel, nach zwei Jahren Pandemie und Kriegsausbruch?

In den vergangenen zwei Jahren hat der Verlauf der Pandemie und die damit einhergehenden Lockdowns und Corona-Maßnahmen die Entwicklung der Handelsbranche stark beeinflusst. In zwei Jahren seit dem ersten Lockdown gab es insgesamt 569 Verkaufstage im stationären Handel. An 263 Tage waren unsere Läden (46% der Gesamttage) geschlossen, oder mit Einschränkungen im stationären Nonfoodhandel belegt. In Folge sind die Frequenzen und Umsätze im stationären Handel stark zurückgegangen.

Auch nachdem die 2G-Beschränkungen im Einzelhandel weggefallen sind, erreichen große Teile der Branche nach wie vor nicht das Umsatzniveau der Zeit vor Corona. Am meisten haben nach wie vor Händler in Innenstadtlagen zu kämpfen. Viele Einzelhändler in den Innenstädten verzeichnen nach wie vor ein erhebliches Umsatzminus. So sind ganze Stadtzentren bedroht. In der Folge kommen vor allem die Hauptgeschäftslagen, deren Geschäftsmodell auf hohe Kundenzahlen ausgerichtet ist, nur sehr langsam aus dem Krisenmodus. Dies ist eine dramatische Entwicklung, denn ohne lebendigen Einzelhandel gibt es keine attraktiven Innenstädte und Stadteilzentren.

Besonders stark betroffen sind dabei kleinere und mittelständige Unternehmen in Branchen wie dem Bekleidungs- und Schuhhandel. Von diesen beurteilen mehr als die Hälfte die aktuelle Geschäftslage im Frühjahr 2022 als schwierig.

Der Handelsverband Hessen schaut mit großer Besorgnis und Betroffenheit auf die schrecklichen Entwicklungen in der Ukraine und denkt voller Anteilnahme an die Menschen vor Ort.

Zusammen mit unserem europäischen Dachverband EuroCommerce und anderen europäischen Wirtschaftsverbänden fordern wir, dass diese Maßnahmen mit den USA und anderen Partnern koordiniert werden. Dabei wird unsere Branche die Politik bei den Maßnahmen unterstützen, die notwendig sind. Die Maßnahmen müssen dabei so klar wie möglich gefasst werden, sodass die Unternehmen, die sie einhalten müssen, Rechtssicherheit erhalten. Die Situation hat sich bereits auf unsere Mitglieder ausgewirkt, die in der Ukraine und in Russland tätig sind. Dabei werden Sie politische Unterstützung bei der vor Ort Betreuung ihrer Mitarbeitenden benötigen.

Gibt es in Hessen eine besondere Situation, die sich von der in anderen Bundesländern unterscheidet?

Mit seiner zentralen Lage in der Mitte von Deutschland, umringt von vielen Nachbarn, stand Hessen gerade in den letzten zwei Jahren im Fokus. Das Rhein-Main-Gebiet lebt von seiner Internationalität. Den Wegfall von Messen und Veranstaltungen haben wir in Hessen besonders gemerkt und auch durch die Homeoffice-Regel haben sich viele Kaufgewohnheiten stark verändert und das z.T. nachhaltig. Gleichzeitig war es auf nationaler und regionaler Ebene oft nicht leicht, die unterschiedlichen Regeln während der Corona-Pandemie nachzuvollziehen. Während beispielsweise in Bayern Baumärkte geöffnet hatten, waren bei unseren Nachbarn in Mainz Eisdielen geöffnet. Dabei standen wir Hessen dazwischen und die Regelungen änderten sich teilweise wöchentlich.

Was sind jenseits der Corona-Pandemie und des Krieges in Osteuropa in naher Zukunft die dringendsten Themen des Handels?

Aus dem aktuellen Geschehen ergeben sich Folgen und Herausforderungen für den Handel, die sich nicht isoliert betrachtet lassen. So ist die Entwicklung der Innenstädte ein Zukunftsthema, dass uns auch weiterhin beschäftigen wird. Auch die Digitalisierung im Handel, Stichwort dynamische Entwicklung des Onlinehandels, ist ein allgegenwärtiges Thema. Aber auch Klimawandel und Nachhaltigkeit sind weiterhin Themenschwerpunkte, die uns auch in Zukunft begleiten werden.

Was sind die wichtigsten Wünsche des Handels an die Politik?

Aufgrund der immer noch anhaltenden Folgen der Coronapandemie, bedarf es weiterhin der Unterstützung von Seiten der Politik für den Handel. Wir brauchen eine Investitions- und Innovationsoffensive für Stadt und Handel. Die von der Ampelkoalition geforderte Transformation der Wirtschaft muss durch gezielte Fördermaßnahmen zur Digitalisierung und für den Handelsstandort Innenstadt unterstützt und begleitet werden. Zudem müssen bessere Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung im Einzelhandel und die Aufwertung der beruflichen Bildung zur Zukunftssicherung der Branche geschaffen werden. Viele Händler haben in der Corona-Krise ihre eigenen privaten Rücklagen aufgebraucht und haben jetzt keine Optionen mehr, in die Zukunft zu investieren. Hier ist die Politik aufgefordert, den Händlern unter die Arme zu greifen und dafür Sorge zu tragen, dass diese nicht abgehängt werden.

Welche Bedeutung haben die Sicherheiten der Bürgschaftsbank Hessen bei der Kreditvergabe für Handelsunternehmen?

Die Bedeutung von Bürgschaften spielt eine zentrale Rolle für den Handel, da die aktuellen Geschehnisse (Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg) zu herausfordernden Bankgesprächen führen. Kapital zu erhalten ist somit für viele Teile der Handelsbranche schwierig geworden. Die Bürgschaftsbank Hessen spielt hier eine zentrale Rolle, gemeinsam mit anderen Akteuren aus der Hessischen Wirtschaft wird Verantwortung für unseren Wirtschaftsstandort übernommen, um nachhaltigen Wohlstand zu sichern.

Als Vertreter Ihres Verbandes arbeiten Sie ja eng mit der Bürgschaftsbank Hessen zusammen – wie haben Sie diese Zusammenarbeit bisher erlebt?

Die Zusammenarbeit mit der Bürgschaftsbank Hessen ist auf allen Ebenen unserer Organisationen sehr vertrauensvoll, offen und professionell. Aktuell sind verlässliche Partnerschaften wichtiger denn je. Ich persönlich kann sagen, dass ich mit großer Freude mit meiner fachliche Expertise an der Arbeit der Bürgschaftsbank teilhabe. Gleichzeitig lerne ich immer wieder von den Experten der anderen Wirtschaftszweige und natürlich von den Fachleuten der Bürgschaftsbank.