Susanne Haus vertritt als Präsidentin der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main rund 153.000 Handwerkerinnen und Handwerker. Wir sprachen mit ihr über ihre Sicht auf die aktuelle Situation im Handwerk.

Wie bewerten Sie als Präsidentin einer großen Handwerkskammer aktuell die Gesamtsituation im Handwerk?

Die Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen – von der Energiewende über den Fachkräftemangel bis hin zur Digitalisierung – und wir als Handwerkerinnen und Handwerker packen als wichtiger Teil der Gesellschaft jeden Tag mit an. Wir setzen die Transformation ganz praktisch um, sei es bei der zukunftsorientierten Ausbildung von Jugendlichen, dem Einsetzen digitaler Tools oder bei der effizienten Sanierung von Gebäuden.

Gerade im Bauhandwerk geht die Sorge um, der Rückgang der Bauaktivitäten könnte dem Handwerk schaden. Wie sehen Sie das?

Ganz klar, das Baugewerbe durchlebt bei hohen Zinsen, steigenden Preisen und einem Einbruch bei den Baufinanzierungen und -genehmigungen eine sehr herausfordernde Zeit. Im Baugewerbe arbeiten mehr als 50 Prozent der Handwerkerinnen und Handwerker in Deutschland! Selbst wenn es jetzt noch Aufträge gibt, die abgearbeitet werden können: Die Bauhandwerke brauchen stabile Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie und sinnvolle Anreize, damit die Bautätigkeiten kurzfristig wieder in Schwung kommen.

Was sind die entscheidenden Faktoren, um im Handwerk heute und morgen genügend Nachwuchs wie auch Fachkräfte zu gewinnen?

Faktor 1: Die Vorurteile gegenüber dem Handwerk müssen aus den Köpfen der Eltern und der jungen Menschen raus. Das Handwerk steckt voller zukunftsfähiger Karriereoptionen, persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten und bietet am Ende des Tages eine hohe Zufriedenheit mit der geleisteten Arbeit. Das Handwerk macht aus Personen Persönlichkeiten.

Faktor 2: Handwerksberufe gehören als gleichwertige Option neben dem Studium in die Berufsorientierung, auch an Gymnasien. Die BO muss stärker und kontinuierlicher im Stundenplan verankert werden und das über den ganzen Zeitraum des Schulbesuchs.

Faktor 3: Das Handwerk selbst muss sich als attraktiver Arbeitgeber zeigen und die potenziellen Fachkräfte mit Themen adressieren, die ihnen wichtig sind: Persönlichkeitsentwicklung, Sinnhaftigkeit und Wertschätzung und nicht zu vergessen der Klimaschutz.

Welche Rolle spielt Digitalisierung heute im Handwerk, welche Chancen und Herausforderungen dominieren da?

Die Digitalisierung in Verbindung mit der KI ist im Handwerk längst angekommen und zieht sich durch alle Bereiche eines Handwerksbetriebs – von der Ausbildung über die Betriebsführung bis hin zur Kundenkommunikation. Als Chancen sehe ich die Optimierung von Prozessen, die Steigerung von Effizienzen und die Entlastung bei alltäglichen Aufgaben. Herausforderungen sind neben Datensicherheit die notwendigen Qualifikationen der Belegschaften und Nachwuchskräfte. Wenn die Betriebe hier klug aufgestellt sind, ist das sicherlich auch eine gute Visitenkarte für die betriebliche Kommunikation und Werbung.

Welchen Beitrag kann das Handwerk leisten, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen?

Das Handwerk nimmt eine der entscheidenden Schlüsselrollen im Klimaschutz ein: Rund 490.000 Betriebe mit über 3,1 Millionen Beschäftigten in knapp 30 Gewerken setzen in Deutschland die Wärme, Energie- und Mobilitätswende um. Unsere Fachkräfte dämmen Gebäude, installieren Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen oder bauen die Infrastruktur für die E-Mobilität. Ohne das Handwerk und seine Kompetenz bewegt sich in Sachen Klimaschutz wenig.

Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen Ihrem Haus und der Bürgschaftsbank Hessen?

Als Mitgesellschafterin und Teil des Bürgschaftsausschusses empfindet es die HWK Frankfurt-Rhein-Main als Privileg, Handwerksbetriebe bei der Verwirklichung ihrer Zukunftspläne unterstützen zu können: Wir informieren unsere Mitglieder und beraten über mögliche Bürgschaften für neue Projekte, von der Gründung bis hin zur Betriebsübernahme.

Wenn Sie in Ihrer Rolle als Kammerpräsidentin einen Wunsch frei hätten, was wäre das?

Mein Wunsch: Alle Jugendlichen in Deutschland absolvieren vor dem Schulabschluss ein mehrwöchiges Praktikum in einem Handwerksbetrieb ihrer Wahl. Ich bin mir sicher, dass viele überrascht wären, wie viel Spaß und Sinn ein Beruf macht, bei dem man Hand und Kopf braucht! Ein hoffentlich positiver Nebeneffekt wäre, dass das Wissen und die Wertschätzung für die handwerklichen Berufe bei den jungen Menschen steigen würde.