Dirk Pollert ist Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VHU) und neuer Aufsichtsratsvorsitzender der Bürgschaftsbank Hessen. Wir sprachen mit ihm über sein neues Amt und seinen Blick auf die aktuelle Lage.
Herr Pollert, Sie sind der neu gewählte Aufsichtsratsvorsitzende der Bürgschaftsbank Hessen. Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?
Die Wirtschaft muss und wird nach Corona weiter in Fahrt kommen. Dabei gilt es, sowohl die Herausforderungen als auch die großen Chancen des Strukturwandels der drei großen D, der Digitalisierung, der Dekarbonisierung und des Klimaschutzes, sowie der Demografie auszuloten und richtig zu begegnen. Als Bürgschaftsbank müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir
Unternehmen und Startups auf dem Weg in die Zukunft behilflich sind. Erforderliche Investitionen und Innovationen müssen möglich sein, auch wenn Corona-bedingt das Eigenkapital geschrumpft ist. Als Bürgschaftsbank müssen wir innovative Unternehmen mit Hebelwirkung für Beschäftigung auf Ihrem Erfolgsweg gezielt unterstützen.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen für die Bürgschaftsbank Hessen in den kommenden Jahren?
Im Zuge der digitalen Transformation werden wir die Entwicklung vieler neuer Geschäftsmodelle mit neuen Produkten und hybriden Dienstleistungen erleben. Es wird eine große Herausforderung als Bürgschaftsbank die Chancen und Risiken der neuen Geschäftsmodelle richtig zu beurteilen. Unsere Analysten und Spezialisten für das Kreditgeschäft müssen auch zu Experten für die digitale Transformation und neue Geschäftsmodelle werden. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Gebot des Klimaschutzes. Auch Investoren lassen Unternehmen ohne in den Purpose und den Alltag integriertes Nachhaltigkeitsmanagement als Wettbewerbsfaktor immer häufiger links liegen. Deshalb brauchen wir auch zunehmend entsprechende Expertise bei unserer Bürgschaftsbank.
Wie sehen Sie den Zustand der hessischen Wirtschaft zum jetzigen Zeitpunkt, welche Chancen und Risiken stehen vor uns?
Zum Glück geht es mit der hessischen Wirtschaft in den meisten Branchen wieder bergauf. An einigen Stelle ist aber noch Corona-Sand im Getriebe. Vor allem die hessische Industrie zeigt sich nach den heftigen Einbrüchen im vergangenen Jahr deutlich erholt, aber noch behindern Lieferengpässe, hohe Energiekosten und teure Rohstoffe in vielen Fällen die Produktion. Die
fehlenden Produkte bremsen wiederum die wieder anziehende Geschäftstätigkeit im Handel, dem Handwerk und dem Dienstleistungsgewerbe. Richtige Sorgen bereiten aber noch das Reise- und das Gastgewerbe. Das Passagieraufkommen am Frankfurter Flughafen liegt weiterhin weit unterhalb des Normalniveaus und zahlreiche Hotels und Gastronomiebetriebe bangen immer noch um ihre Existenz. Digitalisierung und Klimaschutz können wieder neuen Schwung aufnehmen, wenn die Unternehmen bereit sind, die Herausforderung anzunehmen und entsprechend zu investieren. Als Bürgschaftsbank können wir ihnen die eine oder andere Last von den Schultern nehmen und Entscheidungen vereinfachen. Die Politik muss aber ebenfalls ihren Teil dazu beitragen, indem sie so klar wie irgend möglich kommuniziert wie es in der
Pandemiebewältigung weitergeht und dadurch die Verunsicherung und Investitionsskepsis in den Unternehmen reduzieren.
Sie sind Experte für Arbeitsrecht und wirken seit vielen Jahren alsehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht. Welche Veränderungen in der Arbeitswelt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zeichnen sich -auch durch Corona beschleunigt- aus Ihrer Sicht ab?
Die für uns alle sichtbarste Veränderung ist die Digitalisierung der Arbeitswelt. Ich meine damit nicht nur die vielen Videokonferenzen, die wir alle in den letzten Monaten hatten. Die Veränderung reicht von agilen Projektmanagement-Methoden, Assistenzsystemen, der Anwendung von Künstlicher Intelligenz bis hin zur Smart Factory. Die Industrie 4.0 führt zur
Arbeit 4.0. Die guten Erfahrungen aus der Coronapandemie werden wir beibehalten, es
wird auf betrieblich erforderliche Präsenz und Dienstreisen gesetzt und Videokonferenz und ortsunabhängiges Arbeiten wird bedarfsgerecht für Beschäftigte und Unternehmen bleiben. Entscheidend ist, dass die Ziele, Aufträge zu generieren, und die richtigen Arbeitserfolge zu liefern, im Fokus bleiben. Dringend notwendig wird eine zeitgemäße Anpassung des
Arbeitszeitgesetzes. Wir müssen von einer Tages- zu einer Wochenbetrachtung kommen, mehr Flexibilität für die Unternehmen schaffen und zeitgleich zu einer an die Lebensumstände der Beschäftigten angepassten Work-Life-Balance beitragen.